Kernkraft und Raketen




In seltener Einmütigkeit werfen die USA und Europa dem Iran vor, heimlich an Atomwaffen zu arbeiten. Das Mullah-Regime bestreitet dies vehement und pocht auf sein international verbrieftes Recht auf die Nutzung ziviler Kernenergie. Es werden immer kompliziertere Kompromissvorschläge entworfen, um eine Annäherung auf dem Verhandlungsweg zu erreichen. Doch nicht zuletzt die wilden Drohungen von Präsident Mahmud Ahmadinedschad gegen Israel lassen darauf schließen, dass Teheran an einer diplomatischen Lösung nicht wirklich interessiert ist. Mit gutem Grund: Der Iran hat einige gewichtige Trümpfe gegen den Westen in der Hand

Die Verwirrung beginnt bereits damit, dass es gar nicht so leicht ist, einen Vorwurf gegenüber dem Iran zu formulieren. Der Wunsch des Landes, in Kernkraftwerken Atomenergie zu erzeugen, mag für einen der weltweit größten Öl- und Erdgasproduzenten der Welt ungewöhnlich klingen, verboten ist das aber nicht. Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV), den der Iran unterzeichnet hat, gestattet ausdrücklich die Produktion und Nutzung von Atomenergie. Dies wird dem Iran auch nicht ernsthaft verwehrt. Darüber hinaus möchte Teheran die Brennstäbe für die Reaktoren selbst produzieren und verweist dabei auf seine reichen Uranvorkommen. Allerdings enthält Natururan nur etwa 0,5 Prozent des entscheidenden Uranisotops U-235. Für die Produktion von Reaktorbrennstoff sind aber etwa fünf Prozent U-235 erforderlich - also eine rund zehnmal höhere Konzentration.Durch Umwandlung des Natururans in das Gas „Uran-Hexafluorid" und durch die anschließende Behandlung des Gases in Hochgeschwindigkeitszentrifugen kann der Gehalt an U-235 auf den für Brennstäbe erforderlichen Wert erhöht werden. Würde man dieses als „Anreicherung" bezeichnete Verfahren fortführen, die Zentrifugen also länger laufen lassen, so könnte der Gehalt an U-235 auf bis zu 90 Prozent gesteigertwerden Ein solches Spaltmaterial ist waffentauglich und kann zur Produktion von Atomsprengköpfen verwendet werden. Da die Konstruktionsweise von Kernwaffen längst kein Geheimnis mehr ist und der Iran über das notwendige Knowhow verfügt, wäre er von einem eigenen Atom arsenal nicht mehr weit entfernt, wenn er nur genügend Spaltstoff produzierte. Des Weiteren strebt der Iran danach, die verbrauchten Kernbrennstäbe wieder aufbereiten zu können, um damit über einen so genannten „geschlossenen Brennstoffkreislauf' zu verfügen. Dieser ermöglichte dann, das Material erneut zu verwenden. Bei diesem chemischen Aufbereitungsverfahren entsteht Plutonium, ein hochradioaktives Metall, das ebenfalls Grundstoff für den Atomwaffenbau sein kann.

Anreicherung und Wiederaufbereitung von Uran sind ebensowenig verboten wie die Energieproduktion selbst. Dies wird von Europäern und Amerikanern auch nicht in Frage gestellt. Vielmehr werfen sie dem Iran vor, sein ziviles Kernenergieprogramm zu missbrauchen, um illegal Atomwaffen zu produzieren. Hierfür gibt es handfeste Indizien. So hat der Iran seine Aktivitäten weitgehend verheimlicht, obwohl der Nichtverbreitungsvertrag vollständige Kontrollen aller Anlagen durch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) vorsieht. Einige der iranischen nuklearen Produktionsstätten wurden erst Jahre nach ihrer Fertigstellung durch Informationen von Regimegegnern international bekannt. Technische Komponenten, wie die Hochleistungszentrifugen, sind illegal über das pakistanische Netzwerk des gefürchteten Dr. Abdul Qadir Khan beschafft worden. Khan soll das Knowhow zum Bombenbau auch nach Nordkorea geliefert haben. Auch experimentiert der Iran nachweislich mit Substanzen wie Beryllium oder Polonium, für die es keine technische Verwendung gibt - außer als Bestandteile von Atomwaffen.

Letztlich, und das ist ebenfalls schwerwiegend, entwickelt der Iran Raketen mit großer Reichweite und hoher Zielgenauigkeit („Schahab-3, -4, -5", siehe Grafik auf dieser Seite). Solche Raketenprogramme ergeben nur in Verbindung mit Atomwaffen einen Sinn, wäre es doch schlicht zu teuer, einen konventionellen Sprengkopf über Tausende Kilometer zu tragen, um ein vergleichsweise kleines Ziel zu zerstören.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Teheran eine Strategie verfolgt, die in Fachkreisen „outbreak" bezeichnet wird: Unter dem Deckmantel des Nichtverbreitungsvertrages verschafft sich der Iran illegal atomares Spaltmaterial und die erforderliche Waffentechnik. Ist beides in ausreichendem Maß vorhanden, macht das Land von dem Kündigungsrecht des NVV Gebrauch und tritt nach der vom Vertrag geforderten Dreimonatsfrist aus. Danach kann der Iran völlig legal - ähnlich wie die nicht-NVV Staaten Indien oder Pakistan - Kernwaffen produzieren und wäre somit in den kleinen Kreis der Atommächte aufgestiegen.

Ein nuklearer Iran wird aus unterschiedlichen Gründen international als akute Gefahr gesehen. Israel muss sich unmittelbar bedroht fühlen, hat doch Präsident Ahmadinedschad mehrfach erklärt, den jüdischen Staat „ausradieren" zu wollen. In Europa und den USA richtet sich die Sorge weniger auf einen direkten iranischen Kernwaffeneinsatz gegen Washington, London oder Berlin, sondern eher auf den politischen Machtzuwachs des Golfstaates. Nuklearstaaten - und darin liegt der Reiz des Kernwaffenbesitzes - haben einen dramatisch größeren politischen Handlungsspielraum, da sie vor Interventionen weitgehend sicher sind. Hätte etwa Serbien in den neunziger Jahren Atomwaffen besessen, hätte es wohl keinen NATO-Krieg im Kosovo gegeben, ganz gleich welche Menschenrechtsverletzungen Slobodan Milosevic dort auch immer begangen hätte. Ein Konflikt mit einem Atomwaffenstaat wäre dem Westen das Kosovo wohl kaum wert gewesen.

Die Vorstellung, dass ein islamistisches, antiwestliches, Terrorismus förderndes und korruptes Regime wie das der Mullahs in Teheran in einer der - aus der Sicht der Energieversorgungssicherheit und Wirtschaftspolitik-wichtigsten und gleichzeitig instabilsten Weltregionen nahezu ungehindert agieren kann, muss den Amerikanern und Europäern den Schweiß auf die Stirn treiben. Darüber hinaus würde die Sorge vor einem nuklearen Iran auch andere Staaten in der Region, etwa Ägyp­ten, Saudi-Arabien oder Syrien, nach eigenen Kernwaffen streben lassen

Bislang konzentrieren sich die Bemühungen darauf, Teheran auf dem Verhandlungswege von seinen Nuklearplänen abzubringen. Würde der Iran zumindest auf die Anreicherung von Uran verzichten, so wären die internationalen Sorgen schon weit geringer. Darauf zielt das Angebot Moskaus, den Iran mit fertigen Brennstäben zu beliefern und auch das abgebrannte Material zur Wiederaufbereitung in Russland zurückzunehmen. Dies lehnt der Iran mit dem Hinweis ab, er habe das Recht auf den vollen Brennstoffkreislauf und wolle damit der Welt die technische Leistungsfähigkeit des iranischen Volkes beweisen.

Die bisherigen Weigerungen Teherans, auf die Verhandlungsangebote einzugehen, Dffenbaren eine grundsätzliche Schwäche der diplomatischen Bemühungen des Westens. Wenn der Iran wirklich den Atomwaffenbau anstrebt, so wird er sich diese Option des Machtzuwachses kaum wegverhandeln lassen. Auch muss man dem Mullah-Regime - bei aller Kritik an seinen atomaren Ambitionen - ein Sicherheitsproblem zugestehen. Mit amerikanischen Truppen in unmittelbarer Nachbarschaft und mit den potenziell gegnerischen Atommächten Israel, Russland, Pakistan oder Indien im mittleren geografischen Umkreis ist der iranische Wunsch nach nuklearer Abschreckung zumindest teilweise verständlich. Zudem: Die Drohungen des Westens, die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen, muss der Iran nicht fürchten. Wollte dieses Gremium Sanktionsmaßnahmen oder Wirtschaftsboykotte gegen Teheran verhängen, so brauchte es die Stimmen aller fünfständigen Sicherheitsratsmitglieder. Deren Interessen, das zeigte sich erst Ende März wieder in New York, divergieren im Fall Iran aber beträchtlich. Und davon abgesehen: Die Androhung von Sanktionen gegen einen Ölstaat ist angesichts explodierender Energiepreise in allen westlichen Staaten ohnehin nicht sehr glaubwürdig.

Bleibt nach Ansicht mancher Stimmen gerade in Israel nur die militärische Karte. Die einzige sinnvolle und machbare Option scheint die gezielte Bombardierung der einzelnen Nuklearanlagen und Reaktorbaustellen. Selbst wenn dadurch nur die bekannten Teile des Atomprogramms zerstört werden könnten, so würde damit doch der iranische Griff nach der Bombe zumindest um einige Jahre verzögert werden. Sonderlich überzeugend ist dieser Ansatz allerdings auch nicht. Zunächst stellt sich die Frage, mit welchem Recht die (scheinbar) zivilen Atomanlagen eines Landes zerstört werden sollten, während andere überall auf der Welt Atomenergie erzeugen dürfen. Offen ist auch, wer eine so­che Operation durchführen soll: Die USA sind im Irak weit stärker gebunden als erhofft, und für die israelische Luftwaffe allein dürfte eine solche Aktion nur schwer zu bewältigen sein. Gar nicht auszumalen wagt man sich die Konsequenzen eines solchen Angriffs im Iran selbst. Ohne Zweifel herrscht in der Gesellschaft eine tiefe Kluft zwischen der strengreligiösen Führung und gerade der Jugend des Landes (zwei Drittel der Gesamtbevölkerung sind unter 25 Jahre alt), die dringend auf Reform und Öffnung des Landes hofft. Mit einem aus iranischer Sicht ungerechtfertigten Militärschlag Israels oder des Westens könnte das ungeliebte Regime aber an den Nationalstolz seiner Bewohner appellieren und würde damit wohl einen neuen Solidarisierungsschub im Land (und möglicherweise in der gesamten islamischen Welt) erreichen - vergleichbar etwa mit der Situation während des Iran-Irak-Krieges.

Einziger Lichtblick in der völlig verfahrenen Lage scheint, dass der Iran wohl noch einige Zeit bis zum Atomwaffenbesitz brauchen wird. Die Anreicherung von waffenfähigem Uran ist langwierig und produziert immer nur sehr kleine Mengen spaltbaren Materials. Umstritten ist unter Fachleuten, ob es noch zwei, vier oder sechs Jahre dauert, bis Teheran über genügend Spaltstoff verfügt. In jedem Fall verbleibt etwas Zeit, den Iran durch einen Mix von Anreizen und Drohungen von seinem vermuteten Weg abzubringen. Gelingen muss das freilich nicht. Ein nuklearer Iran ist eine reale Option, ganz gleich, welch entschiedene Worte in Europa und Amerika gegen das Atomprogramm Teherans vorgebracht werden. Auf eine solche Realität sollte man sich im Westen zumindest schon einmal gedanklich einstellen.



Karl-Heinz Kamp ist der sicherheitspolitische Koordinator der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.